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Eins, zwei, drei – diese »Dinger« fahren wir selber

Obwohl wir jeden Tag knietief im durchaus ambivalenten Fahrrad-Berufsleben stehen, unsere Leidenschaft fürs Fahrrad(fahren) ist ungebrochen.

Drei aktuelle Beispiele dafür, welche Räder wir für uns selber bauen und fahren, sind in den letzten Wochen fertig geworden.

Die drei Fahrrad-Temperamente wirken zwar auf den ersten Blick nahezu identisch – alle mit Rennlenker, bei genauerer Betrachtung ist ihre Entstehungsgeschichte und Umsetzung so unterschiedlich wie die Menschen, die sie fahren.

I. Arno

Ich bin ein wankelmütiger Mensch. Nach nunmehr einem Jahr des Planens, Verwerfens und neu Planens, steht der persönliche Velotraum endlich. Überlegungen zu einem neuen Rad hatten bereits kurz nach der Zusage von Velotraum für die Ausbildungsstelle begonnen, da mein bisheriges Gefährt (passenderweise) nicht mehr standesgemäß sein würde.

Der Einsatzbereich war schnell umrissen. Nicht weniger als »alles« sollte das Rad können: Die tägliche Pendelstrecke (und zwar ganzjährig), das Verfolgen von Rennradlern, leicht bepackte Reisen und hin und wieder etwas ruppigere Ausflüge in den Forst. Letztlich landeten die Gedanken bei einem Speedster mit Scheibenbremsen und etwas Eigenwilligkeit.

Die etwas altbackene Optik (heute auch “Retro”) mit möglichst viel Silber, möglichst poliert, war das Resultat eigener Sturheit und väterlicher Prägung [Germanistik-Professor]. Den Spott der Kollegen über die Metallschutzbleche, die erst nach langer Arbeit das Klappern einstellen wollten, muss der Freund klassischer Optik ertragen.

Abgesehen davon ist das Rad eine wahre Freude. Die Sitzposition ist ein Riesensprung gegenüber dem arg kompakten Cyclocrosser, der voranging. Die Front fängt jenseits der 40 km/h nicht mehr an zu schaukeln und dank neuer Laufradgröße passt die Übersetzung mit 50/34 Kurbel erstmals wirklich.

Und die Allzwecktauglichkeit? Neulich, auf dem Heimweg von der Arbeit, sperrte sich der Geist gegen den Gedanken die übliche Asphaltstrecke in Gesellschaft des Motorverkehrs zu fahren. In Erwartung eines ruhigen Schotterwegs bogen Ross und Reiter also in den Wald links der ehemaligen Rennstrecke ein, nur um sich kurz darauf auf einem veritablen Singletrail wiederzufinden.

Etwa eine halbe Stunde später ist die Landstraße erfolgreich umschifft. Der Fahrer zupft sich Reste der schwäbischen Flora vom Trikot. Das Rad scheint nicht beeindruckt. Wieso auch?

II. Matthias

Mein Speedster ersetzt ein zirka 16 Jahre altes Stahl-Rennrad. Mit diesem verbinde ich zwar eine ganze Menge schöner Erinnerungen, die letzten 3 Jahre stand es aber fast völlig ungefahren im Keller, da es so einem Rad einfach zu sehr an der – für meine bevorzugte Streckenwahl notwendigen – Vielseitigkeit fehlt. Wenn nämlich auf einer Erkundungstour plötzlich der Asphalt zu Ende ist und die Wurzeln und Schottersteine gröber werden als der Reifen dick, dann hat man mit dem Rennrad zwei Möglichkeiten:

  1. Weiterfahren. – Und hoffen, dass die Speichen (und die Plomben) halten.
  2. Umdrehen.

Im Nachhinein ist es schon erstaunlich, was mit 25mm-Reifen noch alles fahrbar ist, nur irgendwann macht das dann doch keinen Spaß mehr.

Der Speedster rollt dagegen souverän, wenn es mal wieder heißt »Ende der Ausbaustrecke«: Die 50mm-Slickreifen auf extrabreiten Felgen laufen bei 2 bis 2,5 bar schnell und spurtreu und sorgen zusammen mit zwei Zentimeter Lenkerüberhöhung für reichlich Komfort. Hohe Rahmensteifigkeit und ausreichend Bremsleistung geben Sicherheit, ein leichter Gepäckträger bietet eine Stauraumoption für längere Tagestouren, kleine Einkäufe unterwegs oder Wechselklamotten am Ziel und erspart vollgestopfte Trikottaschen und Staunässe unter dem Rucksack.

Bei Bedarf ließe sich der Speedster natürlich auch sehr einfach mit Schutzblechen und Lichtanlage voll alltags- und tourentauglich machen, dafür habe ich aber schon ein Rad. Bei meinem Speedster ist »weniger« »mehr«. Er ist ganz bewusst als reduziertes Sport- und Spaßrad mit Mehrwert konzipiert und wird sich wahrscheinlich eher in die entgegensetzte Richtung entwickeln – weniger Asphalt und Alltag, mehr Stock und Stein. Schließlich machen Waldwege jetzt plötzlich noch mehr Spaß und die breiten Felgen warten förmlich darauf, ein Paar leichte MTB-Reifen auf Schotterpisten zu testen.

Trendsetter oder Nostalgiker können das dann auch verschieden etikettieren – Pathracer, Ballonrenner, Gravelgrinder oder 26“-Monstercross – der Velotraum-Speedster deckt das alles schon ganz gut ab.

III. Stefan

Wenn man ein Fahrrad-Technik-Schlaraffenland mit (fast) grenzenloser und jederzeit verfügbarer Auswahl umtreibt, fällt nicht nur das Entscheiden schwer, man verliert im Laufe der Zeit auch etwas den Appetit auf die immer neueste Technik.

Doch früher als gedacht, waren an meinem bisherigen Alltags- und Reiserad neue Felgen und ein neuer Antriebstrang notwendig geworden, und so habe ich mein treues cross crmo kurzerhand zum Musemsrad umgewidmet. Zudem wurde es höchste Eisenbahn, dass auch der Chronist aktuelle Technik – wie z.B. Scheibenbremse, STI-Schalthebel – benutzt.

Da es mal wieder schnell gehen musste und sich sonst keiner den Restposten im Lager erbarmt, fiel meine Wahl auf einen älteren, rot-matten »cross 7005« Rahmen mit außenliegenden Gussets. Die A-425 Alugabel mit Direktkontakt passt zwar nicht ganz zum anstehenden Systemgewicht (maximal 120 Kilogramm), doch auch Erkenntnisse darüber, wie sich überlastete Bauteile verhalten, sind für mich als Konstrukteur und Produktentwickler wertvoll. ;-)

Als Antrieb wollte ich eine dicht gestufte 3-fach-Kurbel (50/39/30 Zähne), kombiniert mit einer »klassischen« 11 bis 32 Kassette. Die dazu passende Schaltgruppe ist eine »alte« Shimano 105 (3×10), deren Nachfolger-Gruppe ja leider auf 2×11 beschränkt ist. Nach den ersten 500 Kilometern bin ich begeistert von dieser Zusammenstellung, denn sie entspricht meiner Vorstellung von einer Randonneur- und Pendler-gerechten Abstufung mit »fauler« Bedienung. – Sprich, nach dem Kettenblattwechsel vorne, muss ich keinen oder nur einen Anschlussgang schalten. Die Ergonomie und Griffmöglichkeiten der Shimano STI-Hebel: große Klasse, insbesondere im Vergleich mit den kleinen und verwinkelten Magura-HS66-Bremshebeln.

Zum Thema Bremse. – Die Scheibenbremse Tektro »Spyre« bremst bei Trockenheit zwar nicht besser als die gute alte HS66, bei Nässe ist der Unterschied allerdings gravierend. Da nichts schleift und nur bei Feuchtigkeit ein wenig Gequietsche auftritt, weine ich meiner HS66 höchstens eine kleine, sentimentale Träne nach.

Bis dahin bewegt sich alles im zu erwartenden Rahmen, die eigentliche Überraschung ist ein so noch nicht erlebtes Fahrgefühl. Irgendwie geht mein neues, feuerrotes Gefährt satter und geschmeidiger über den Untergrund, auch unter Berücksichtigung eines bestimmt vorhandenen Placebo-Effekts. Das reinste Fliewatüüt. Rahmen und Gabel schließe ich als Ursache aus, bleibt also nur die Kombination aus breiten Felgen (Yura 28 Disc, Hornbreite 28 mm) und den bekannten Kojak-Reifen (Breite 50-559). Eine verblüffende Kombination von Komfort und superbem Leichtlauf und selbst bei einem Luftdruck von nur drei Bar bleibt der Reifen in schnellen Kurven stabil und definiert.

So deutlich hatte ich den Breit-Felgen-Effekt nicht erwartet und es ist zum Mäusemelken, dass Ryde aus Holland, Hersteller der Yura 28, bisher nur vier Musterfelgen geliefert hat und die von uns georderten Felgen seit zwölf Wochen überfällig sind…

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