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Die neue Velotraum-Messmaschine und »Richtig sitzen – locker Rad fahren«

Wenn das kein Fingerzeig ist: Die neue Velotraum-Messmaschine und das erste deutschsprachige Fachbuch über Fahrrad-Sitzpositionen sind quasi zur gleichen Zeit fertig geworden.

Zumindest für unsere Messmaschine lässt sich sagen: Es war eine lange und schwierige Geburt… Beim lange angekündigten Buch von Juliane Neuß lässt sich ähnliches vermuten, es sollte eigentlich schon Ende 2010 erscheinen.

Die neue Velotraum-Messmaschine

Dabei ist gar nicht so viel neu an der »Neuen«. Die Herausforderung lag vielmehr darin, jemanden zu finden, der eine relative kleine Stückzahl in der benötigten Qualität und zu einem noch bezahlbaren Preis herstellt.

Durch die Vermittlung und tatkräftige Unterstützung unseres Münchner Händlers Cycle Concepts sind wir schließlich bei einem Metallbaubetrieb in Gröbenzell gelandet, der uns eine leicht modifizierte Ausführung – nun in Aluminium statt Stahl – produzierte. Damit können wir nun auch die letzten Messmaschinen-losen Partner-Händler mit diesem so außerordentlich wichtigen Werkzeug ausstatten.

Die Messmaschine: eigentlich eine Anpassungs-, Produktentwicklungs- und Lernmaschine

Velotraum und die Velotraum-Räder sind ohne die kontinuierliche Arbeit mit einer Messmaschine und den dabei gemachten Erfahrungen nicht vorstellbar. Jahrelang hatte uns dabei eine Serotta-Messmaschine gute Dienste geleistet. Vor ungefähr sechs Jahren haben wir dann die erste eigene Messmaschine konstruiert und davon eine Kleinstserie bauen lassen. So konnten wir die Geräte auch unseren Händlerpartnern zur Verfügung stellen.

Es vergeht eigentlich keine Woche, in der wir nicht etwas Neues über die Paarung Mensch & Fahrrad dazulernen. So gab vor Kurzem eine ranke, schlanke und gut trainierte Kundin Rätsel auf. Denn ihre vorbildliche Körperhaltung verwandelte sich auf der Messmaschine in das »Vollbild« für falsches Sitzen auf dem Fahrrad: nach hinten gekipptes Becken, fehlende Lendenlordose, nach vorne fallende Schultern und Kopf im Nacken. Erst mit einem Sattel- und Schuhwechsel(!) erzielten wir das gewünschte Ergebnis, bei unveränderter(!) Grundeinstellung. Diese vielfältigen, und oft genug ungemein subtilen, Wechselwirkungen beim Arbeiten mit der Messmaschine faszinieren uns immer wieder aufs Neue und beeinflussen und gestalten unsere Produkte Jahr für Jahr.

Juliane Neuß: »Richtig sitzen – locker Rad fahren«

Verdammt mutig, wenn eine Werkstoffprüferin – keine Physiotherapeutin, geschweige denn eine Orthopädin – ein Fachbuch über die richtige und falsche Körperhaltung auf dem Fahrrad schreibt. Denn schließlich begibt sie sich hier auf ein zum Teil unerforschtes Terrain, bei dem es viele Meinungen und Ismen gibt, aber nur wenige belastbare und fundierte Erkenntnisse.

Die Bemühungen der Autorin, für dieses Thema weitere Hersteller und öffentliche Fördertöpfe zu aktivieren, sind bedauerlicherweise erfolglos geblieben. Und so charakterisiert Juliane Neuß ihr Buch im Vorwort auch als Anregung und fordert auf, ihre Erkenntnisse zu hinterfragen und weiter zu entwickeln.

Nach der Lektüre der ausführlichen Darlegungen stimmen wir weitgehend mit den Erkenntnissen von Neuß überein. Die Empfehlungen decken sich in großem Umfang mit unserer Alltagspraxis.

Sicherlich arbeiten wir weniger formelhaft (Seite 75), messen z.B. dem Sitzrohrwinkel weitaus weniger Bedeutung bei, dafür umso mehr guten Lenker- und Lenkerhörnchen-Kombinationen und halten uns mit vermeintlich unumstößlichen Regeln etwas mehr zurück. Zwar dient auch uns der 90°-Winkel zwischen Oberkörper und Oberarm als anzustrebendes Ideal, allerdings lässt sich dieses Ideal unserer Erfahrung nach nicht bei allen Oberkörperneigungen und Kunden umsetzen. Das zeigen – wahrscheinlich ungewollt – auch die drei abgebildeten Sitzpositionen auf der Seite 80 des Ratgebers.

Sehr dankbar sind wir der Autorin unter anderem, dass sie für mehr Sitzhöhe plädiert und dafür plausible Argumente hat. Denn auch Velotraum arbeitet seit Jahren nicht mehr mit der klassischen Sattelhöhe (Fersenmaß oder Schrittlänge x Faktor). Bei der Vermaßung orientieren wir uns am Bewegungsbild des Kunden in der endgültigen Sitzposition. Das ergibt durch die Bank mehr Sitzhöhe als die »klassische Methode«.

Trotz, wahrscheinlich aber eher wegen, der langjährigen Anpassungspraxis haben wir das Buch mit großem Gewinn gelesen und können es nur allen ans Herz legen, die sich intensiver mit diesem überaus spannenden und anspruchsvollen Thema befassen möchten. Und unserer Meinung nach sollten das viel mehr Radler tun. Die vielen sehr nützlichen Tipps und Hinweise rund um das Thema Ergonomie sind eine echte Fundgrube. Einzige Einschränkung, wie bei allen Sach- und Fachbüchern: Für den Laien ist es nicht immer einfach, die tatsächliche Relevanz für die eigene Situation einzuschätzen und die richtigen Zusammenhänge herzustellen.

Die einzige echte Kritik richtet sich daher weniger an Juliane Neuß, als vielmehr an den Verlag. Es wäre sinnvoller gewesen das Buch zehn Euro teurer anzubieten und generell gescheite Studioaufnahmen machen zu lassen. Die »Wohnzimmerbilder«, bei denen wichtige Details im dunklen Teppichboden verschwinden, passen nicht zur inhaltlichen Qualität.

Für alle, die an dem Thema interessiert sind, aber das Buch nicht kaufen mögen, noch ein Tipp: Einen ersten Einblick in das Thema Ergonomie gibt auch die Homepage von Juliane Neuß.

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